Emerging Markets: Überlegene Rahmenbedingungen

Es lohnt sich, Mut aufzubringen und neue Wege einzuschlagen.

Das Gesicht der Emerging Markets hat sich stark verändert. Viele Investoren haben diesen Wandel jedoch nicht in ihren Portfolios abgebildet und sind daher von der eher mauen Performance ihrer Investments enttäuscht. Hauptgrund ist die Zeitverzögerung mit der traditionelle Emerging Market Indizes (wie beispielsweise der MSCI EM) und die darauf ausgerichteten Aktienfonds oder Indexzertifikate die Veränderungen würdigen. Es lohnt sich jedoch, den Mut aufzubringen und neue Wege einzuschlagen.

Von Alexander Mozer.

Treiber für überdurchschnittliche Wachstumsraten

Für Europa warnte der IWF jüngst vor anhaltender Konjunkturschwäche. Attestiert wurden fehlendes Bevölkerungswachstum, Überalterung der Gesellschaft und mangelnde Investitionsbereitschaft vor allem in den Bereichen Infrastruktur und Bildung. Themen, die in den meisten Schwellenländern keinen Grund zur Sorge bereiten. Im Gegenteil: hier sind diese Punkte genau die Treiber, die überdurchschnittliche Wachstumsraten versprechen. Die in den letzten Jahren entstandene Mittelschicht - mit einem verfügbaren Einkommen von 10 – 100 USD pro Tag - sorgt darüber hinaus für eine Entwicklung, wie sie die westliche Welt bereits vor 30 Jahren erfahren hat. Die Bedürfnisstruktur vieler Menschen verschiebt sich. Nachfrage nach Gesundheitsversorgung, intakter Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Bildung oder einfach einer sauberen Umwelt sind die überwiegenden Faktoren. Viele innovative Small- und MidCaps der Emerging Markets bilden die Basis dieser Entwicklung. Eine überdurchschnittliche Performance, wie wir sie in den Industrienationen seit vielen Jahren sehen, zeichnet sich ab. Mittelfristig werden diese innovativen klein- und mittelkapitalisierten Unternehmen Einzug in die etablierten Indizes finden. Jedoch können bis dahin benchmarkunabhängige Anlagekonzepte dieser Entwicklung vorgreifen.

China: Auf in ein neues Zeitalter?

Ein Blick auf die chinesischen 5-Jahrespläne, die die taktische Richtung der Wirtschaftsentwicklung vorgeben zeigt, dass sich der eingeschlagene Weg in den letzten Jahren stark geändert hat. Lange setzte das Land auf eine staatlich kontrollierte Wachstumspolitik mit Exportfokus. Rücksicht auf Umwelt und Mensch wurde nicht genommen. Heute legt man den Schwerpunkt auf die Entwicklung des Binnenmarktes. Auch Lösungen, die nicht in erster Linie mit China in Verbindung gebracht werden, bilden Ankerpunkte der Reformen. So werden als strategisch wichtige Industrien auch „Energieeinsparung und Umweltschutz", „Alternative Energieträger" oder „Informationstechnologien der nächsten Generation" genannt. Auch das Thema Mobilität gewinnt zunehmend an Bedeutung. Besonders die Entwicklung des chinesischen Schienennetzes und der Bahnindustrie steht im Fokus des gut 9,5 Mio. Quadratkilometer umfassenden Landes. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der 1,3 Mrd. Chinesen in Städten. Bis 2030 sollen weitere 230 Mio. Menschen in die Ballungsräume ziehen. Aktuell gibt es in China 50 Millionenstädte. 100 Megacities sollen es in zehn Jahren sein. China will dieser Entwicklung Rechnung tragen und das Schienennetz bis 2050 auf eine Länge von 270.000 Kilometern mehr als verdoppeln. Die Schieneninfrastruktur soll den sonst zu erwartenden Verkehrskollaps verhindern. Sie soll auch die Wirtschaftsregionen stärker vernetzen und China zum weltweiten Technologieführer in diesem Wachstumssegment machen. Die in diesen Segmenten börsennotierten Unternehmen spiegeln mit ihren Kursentwicklungen und gefüllten Auftragsbüchern das hohe Wachstumstempo wider.

Stärkere Konzentration auf den Binnenmarkt

Die zunehmende Orientierung der chinesischen Wirtschaft auf den Binnenmarkt hat verschiedene Gründe. Sicherlich ist die wesentlichste Erkenntnis, dass das enorme Wachstumstempo nicht alleine über den Export aufrechterhalten werden kann. Vor allem soll das Wirtschaftswachstum aber auch auf ein breiteres Fundament gestellt werden. Zudem verliert China sukzessive seinen Status als Niedriglohnland, wodurch die Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Billiglohnländern schwindet. Selbst chinesische Unternehmen haben begonnen ihre Produktionsstandorte in Länder wie Bangladesch, Kambodscha und Vietnam auszulagern, in denen das Lohnniveau z.T. um bis zu 30% niedriger liegt. Verantwortlich hierfür ist neben stark wachsenden Unternehmensgewinnen mit steigenden Reallöhnen auch der Mangel an geeigneten Arbeitskräften. Unlängst haben chinesische Unternehmen begonnen, Fachkräfte von Konkurrenzunternehmen abzuwerben und nehmen dafür signifikante Gehaltssteigerungen in Kauf. Seit 2001, dem Jahr in dem China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten ist, haben sich so die Industrielöhne real mehr als verdreifacht.

Indien: ein Elefant bewegt sich

Auch Indien befindet sich seit dem Regierungswechsel im vergangenen Jahr auf einem Pfad der Veränderung. Mit dem langjährigen Regierungschef des Bundesstaates Gujarat, Narendra Modi, wählte sich die weltweit größte Demokratie einen dominanten Mann an die Spitze des Landes. Für sich selbst stellte Modi angesichts der großen Herausforderungen wenig Schlaf in Aussicht. Dem Land möchte er durch den Rückzug der öffentlichen Hand zugunsten privatwirtschaftlicher Aktivitäten ein neues Gesicht verleihen.

Um eine Vorstellung von den anstehenden Herausforderungen zu erhalten, muss man sich das explosionsartige Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte vor Augen führen, mit dem die Entwicklung der Infrastruktur des Landes nicht annähernd mithalten konnte. Im Jahr 1900 lebten in Indien rund 250 Mio. Menschen. Im Jahr 2000 waren es bereits über 1,0 Mrd. und für das Jahr 2050 gehen Prognosen von mehr als 1,7 Mrd. Einwohnern aus. Laut indischem Zensus waren 37% der Bevölkerung im Jahr 2011 unter 18 Jahre alt. Entsprechend ist ein prognostiziertes Wirtschaftswachstum von mehr als 7% dringend erforderlich, um die hohe Anzahl der auf den Arbeitsmarkt drängenden Inder in Lohn und Brot zu bringen. Viele Eltern wünschen sich schon heute, dass ihr Kind ein postgraduales Studium absolviert, um die Chancen auf eine positive Zukunft zu erhöhen. Und auch vorschulische Bildung gewinnt an Bedeutung. Dabei kombinieren beispielsweise die Kindergärten und Vorschulen des Unternehmens Tree House Education Methoden spielerischen Lernens mit Elementen der Montessori-Pädagogik. Die Kinder lernen spielerisch und entwickeln Fähigkeiten von Sprachen, über Kreativität bis zu Motorik. Für die Vorschulkinder werden verschiedene Kurse nach von Experten entwickelten Curricula angeboten. Bei diesen beeindruckenden Rahmendaten scheint es offensichtlich, dass Modi den hohen Erwartungen an seine Person nicht in allen Bereichen gerecht werden kann. Nach den ersten Quartalen seiner Amtsperiode ist aber erkennbar, dass er das Momentum seines deutlichen Wahlsieges genutzt hat, um die oftmals stark zerstrittenen Parteien zur Umsetzung wichtiger Reformen an einen Tisch zu bekommen. Hauptaufgaben sind der Abbau der Bürokratie, um die teils sehr langwierigen und komplexen Genehmigungsprozesse der Unternehmen zu beschleunigen und ausländische Investoren anzulocken. Das in jedem Bundesstaat unterschiedlich ausgestaltete Steuersystem soll harmonisiert, die Inflation kontrolliert und die Korruption bekämpft werden.

Erste Maßnahmenpakete wurden bereits beschlossen: Auch Indien soll ein Netz für Hochgeschwindigkeitszüge bekommen, das die wichtigsten Metropolen miteinander verbindet. Wie wichtig diese Maßnahme ist, zeigt die Tatsache, dass ein LKW zur Überwindung einer Distanz von 1.000 km aufgrund der teilweise abenteuerlichen Straßen gut eine Woche in Indien unterwegs ist. Davon profitiert beispielsweise das Logistikunternehmen Container Corporation of India (CCI) mit Sitz in Neu Delhi, das ein landesweites verzweigtes Distributionssystem betreibt. Insgesamt ist geplant, die Infrastrukturinvestitionen des Landes in den nächsten Jahren signifikant zu steigern. Daneben kommt es zu einer Reformation des Landkaufrechts. Industrie- und Infrastrukturprojekte sollen mit höherer Geschwindigkeit umgesetzt werden. Die indische Regierung kreiert so wichtige Rahmenbedingungen für eine positive Wirtschaftsentwicklung und letztendlich auch für das Entstehen einer breiteren Mittelschicht. Zu hoffen ist, dass bei der bevorstehenden Mammutaufgabe nicht die ausufernden menschenrechtlichen Schwierigkeiten sowie die massiven Umweltprobleme in Indien außer Acht gelassen werden. Auch in diesen Bereichen muss Modi seinen Ankündigungen konkrete Taten folgen lassen.

Emerging Market ist nicht gleich Emerging Market

Die Beispiele Indien und China zeigen, dass sich die Länder der Emerging Markets auf einem stetigen Pfad der Weiterentwicklung befinden. Jedes Land hat seine Besonderheiten und ist hinsichtlich seiner Individualität entsprechend zu beurteilen. Die Potenziale fast aller Schwellenländer sind enorm. Wichtig ist, dass sie von den Regierungen abgerufen werden, und auch internationale Investoren ihrem Geld die richtige Richtung geben. Indem sie die aufstrebenden Realitäten entsprechend würdigen und den Mut aufbringen, die neuen Wege zu erkennen, mit zu beschreiten und diese Chancen für ihre Investments zu nutzen.


Autoreninformation

Alexander Mozer ist seit Januar 2011 Leiter des Portfoliomanagements der Kapitalanlagegesellschaft Ökoworld Lux S.A. Der Diplomkaufmann und Certified EFFAS Financial Analyst (DVFA) war auch der Ideengeber für den Schwellenländerfonds Ökoworld Growing Markets 2.0. Erst im März 2015 bereiste Mozer Indien und Thailand und besichtigte dort Unternehmen und sprach mit Unternehmenslenkern. Mozer startete seine Laufbahn 1998 als Aktienanalyst bei der DGZ Deka Bank. Im Anschluss war er rund 8 Jahre in unterschiedlichen Funktionen bei Deka Investment tätig. Ab 2005 leitete er dort das Team der Einheit Small-/MidCaps und Convergence. Er war Fondsmanager der vielfach ausgezeichneten Fonds Deka Convergence Aktien und Deka Middle East sowie institutioneller Mandate. Die letzte Station vor Ökoworld war die Leitung des Emerging Market Teams bei Cominvest Asset Management.