Der Klimawandel schreitet schneller voran, als noch zu Beginn des Jahrzehnts vorausgesehen wurde. Zum einen war das Jahr 2016, wie schon das Jahr zuvor, das wärmste seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen vor 136 Jahren. Dies galt auch für jeden einzelnen Monat des Jahres. Das starke El-Niño-Ereignis 2015/2016 hatte hieran allerdings auch seinen Anteil.
Erderwärmung geografisch ungleich verteilt
Zum anderen vollzieht sich die Erderwärmung – im Durchschnitt bereits um mehr als 1˚C seit Beginn der Industrialisierung – geografisch ungleich verteilt. In der Arktis verlief die Erderwärmung zuletzt doppelt so schnell wie im Rest der Welt. In der Folge ist das Eis auf Grönland und im Nordpolarmeer zuletzt in weit größerem Umfang geschmolzen als erwartet, und der Meeresspiegel steigt dadurch schneller an.
CO2-Konzentration in der Atmosphäre steigt 2016 weiter
Zudem hat die CO2-Konzentration in der Atmosphäre 2016 weiter zugenommen. Erstmals seit Messbeginn betrugen die globalen CO2-Werte der Erdatmosphäre das ganze Jahr über mehr als 400 ppm (Messergebnisse des Mauna Loa Observatoriums auf Hawaii), was Experten als sehr unsicheres Terrain ansehen. Nie zuvor, seit Menschen auf der Erde leben, war der CO2-Wert dauerhaft so hoch. Ein Lichtblick immerhin: Die CO2-Emissionen sind weltweit, trotz weiterem Wirtschaftswachstum, 2016 wahrscheinlich erstmalig nicht mehr gestiegen.
Dringlichkeit Dekarbonisierung
Die politisch Verantwortlichen, nicht zuletzt in Staaten wie Deutschland, die über viele Jahre Vorreiter beim Klimaschutz waren, vernachlässigen derzeit die Dringlichkeit, mit der weitere wirksame Maßnahmen zur deutlicheren Verringerung der Treibhausgasemissionen ergriffen werden müssen. Insbesondere gilt dies im Hinblick auf die Ende 2015 in Paris von der Staatengemeinschaft als Ziel formulierte Dekarbonisierung des Energiesektors.
Treibhausgasreduktionsziele festlegen
Die meisten Staaten, darunter vor allem auch Deutschland, haben bisher keine kurz- und mittelfristigen Treibhausgasreduktionsziele für einzelne Sektoren (insb. für Verkehr, Gebäude), geschweige denn konkrete (Übergangs-)Szenarien für den Ausstieg aus der Nutzung Kohlenstoff-basierter Energieträger (insb. Kohle, Erdöl) festgelegt. Dies ist jedoch dringend erforderlich, auch um Planungssicherheit herzustellen. In besonders CO2-emissionsintensiven Industrien wie der Stahl- und der Zementerzeugung sind z. B. völlig neue technische Verfahren notwendig, um die verbleibenden Kohlenstoffbudgets einzuhalten. In diese Technologien wird aber nur investiert werden, wenn die Klimapolitik verlässliche Rahmen setzt.
Erneuerbare Energien hochprofitabel
Zudem ist in den meisten europäischen Ländern, auch in Deutschland, der Ausbau Erneuerbarer Energien durch die Verschlechterung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ins Stocken geraten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum in der EU ausgerechnet bei den Erneuerbaren Energien das marktwirtschaftliche Instrumentarium „verschärft“ angewandt wird, das zuvor bei keinem anderen Schlüsselenergieträger (insb. Kohle, Atomkraft) eine Rolle spielte. Das immer wieder ins Feld geführte Kostenargument ist schon von daher irreführend. Erst recht gilt dies unter Berücksichtigung ohnehin anstehender Re-Investitionen. Unter Berücksichtigung der vermiedenen Kosten für Gewinnung, Aufbereitung und Transport fossiler Energieträger sowie der vermiedenen Schadenskosten (Klimawandelauswirkungen) sind die Erneuerbaren Energien in jedem Fall hochprofitabel.
Ziel: absolut Kohlenstoff-freie Energieversorgung
Das Ziel, das bis Mitte des Jahrhunderts erreicht sein sollte, ist die absolut Kohlenstoff-freie Energieversorgung. Dies bedeutet zum einen auch den vollständigen Verzicht auf biogene Energieträger, gleich ob als Brenn- oder Treibstoffe, zum anderen die vollständige Abdeckung der Energieversorgung mit Strom aus Kohlenstoff-freien Energieträgern.
Die Notwendigkeit des Verzichts auf biogene Energieträger ergibt sich daraus, dass der Atmosphäre dauerhaft Kohlenstoff entzogen werden muss (Rückholung von CO2). Die Rechnung, nur noch Kohlenstoff zu verbrennen, der zuvor in der Atmosphäre war (z. B. Holz), geht angesichts der erreichten CO2-Konzentration in der Atmosphäre (s. o.) nicht mehr auf. Der Kohlenstoff darf nicht mehr in die Atmosphäre zurück.
Wind- und Solarstrom (EE-Strom) werden (wird) zur neuen Primärenergie. Dies gilt für alle Sektoren, wo Energie benötigt wird. D. h. im Wärme- und im Verkehrssektor müssen künftig zahlreiche „neue“ Verbraucher effizient mit EE-Strom versorgt werden, was eine umfassende und intelligente Sektorkopplung erfordert.
Kern der Energiewende ist die umfassende Transformation des Stromsektors: Wind- und Solarstrom dominieren die Stromversorgung; Kohlekraftwerke werden bis 2040 außer Betrieb genommen; effiziente Kraft-Wärme-Kopplung spielt weiterhin eine wesentliche Rolle; ab 2025 werden Erdgas und Biogas durch Wasserstoff verdrängt, der mittels EE-Strom aus Wasser erzeugt wird. Zusätzliche Speicher und leistungsfähigere Stromnetze ergänzen die neue Kraftwerkstruktur.
Die meisten Technologien für eine schnelle Energiewende stehen ausgereift zur Verfügung und werden zunehmend intensiver genutzt. Weiteren Entwicklungsbedarf gibt es insbesondere bei Strom- und Wärmespeichern, bei der Weiterentwicklung intelligenter Stromnetze, bei der Entwicklung von Wärmeverbundnetzen in den Kommunen (unverzichtbar für die Energiewende) und bei der Elektrifizierung des Straßenverkehrs einschließlich des Schwerlastverkehrs.
Der „CO2-Fußabdruck“ ist vielfältig
Die Dekarbonisierung ist nicht nur im Energiesektor (einschl. Verkehr und Gebäude), sondern überall da erforderlich, wo Energie verbraucht wird und Treibhausgasemissionen entstehen. Die Verfahren, mit denen sich die Treibhausgasemissionen einzelner Verursacher genau ermitteln oder jedenfalls abschätzen lassen, sind heute zuverlässiger denn je. Dadurch sind Verursacher, insbesondere Unternehmen, in der Lage, für sich eigene Klimaschutzpläne aufzustellen, Reduktionsziele festzulegen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Dabei spielt es keine Rolle, ob der „CO2-Fußabdruck“ eines Unternehmens durch die Nutzung der hergestellten Produkte oder der angebotenen Dienstleistungen entsteht, durch die verwendeten Rohstoffe oder Vorprodukte (Zulieferer), durch den Herstellungsprozess oder durch die bei oder nach der Nutzung entstehenden Abfälle. Unter den Unternehmen weltweit gibt es bereits viele, die mit gutem Beispiel vorangehen, und die Maßstäbe für andere Unternehmen in ihrer Branche und nicht zuletzt für ihre Zulieferer setzen.
Eine weitere wichtige Voraussetzung für die Dekarbonisierung ist die Ermöglichung von wirtschaftlichem Wachstum bei gleichbleibendem bzw. bis auf weiteres sinkendem Energie- und Rohstoffverbrauch.
Neue Materialien und neue Formen der Materialnutzung
Bei der Entkopplung (Wachstum, Energie- und Ressourcenverbrauch) geht es nicht zuletzt um folgende wichtige Themen:
- Materialeinsparung, Langlebigkeit von Produkten, Recycling,
- neue Materialien und neue Formen der Materialnutzung.
Materialeinsparungen bei Herstellungsprozessen, eine längere Lebensdauer von Produkten und das Recycling von Materialien sind wesentliche Voraussetzungen für Energieeinsparungen, da Rohstoffabbau und -verarbeitung zu den energieintensivsten industriellen Prozessen gehören. Beispiele: Erzeugung und Verarbeitung von Stahl, Aluminium, Kupfer und anderen Industriemetallen, Herstellung von Glas, Herstellung von Kunststoffen.
Es gibt zahlreiche Beispiele für neue Materialien und neue Formen der Materialnutzung. Seit längerem ist die Herstellung von Grundbausteinen für Chemie- und Pharmaprodukte aus nachwachsenden Rohstoffen in der Erforschung, z. T. schon in der Erprobung, was gegenüber der energetischen Nutzung die deutlich sinnvollere Verwendung darstellt (s. o.). Beispiele für verwendete Rohstoffe stellen Abfälle aus der Landwirtschaft dar (Stroh, Spelzen u. a.).
Ein weiteres Beispiel sind die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von Holz, auch von Holzabfällen, als Baumaterialien. Dies gilt nicht nur für den Neubau von Gebäuden, auch von mehrgeschossigen, vollständig aus Holz, sondern z. B. auch für den Innenausbau (Zwischenwände und Verkleidungen) und für die Wärmedämmung (z. B. mittels Vorhangfassaden). Von großer Bedeutung hierbei ist, dass die langfristige Nutzung von Holz – gegebenenfalls fortgesetzt über Kaskadennutzung – eine möglicherweise Jahrhunderte lang fortbestehende CO2-Senke darstellt.
Externe Fachreferenten, die von ÖKOWORLD in die Fachbeiratssitzung eingeladen wurden:
Prof. Dr. Wolfgang Lucht, Forschungsbereich Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung & Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin: Wo stehen wir? Planetare Grenzen und sozial-ökologische Transformation.
Dr.-Ing. Daniel Maga, Fraunhofer UMSICHT, Abteilung Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement: Sustainability of Biorefineries and Bio-Based Products
Samuel Ebert, M.Sc., TU München, Lehrstuhl für Holzbau und Baukonstruktion: Alternative Baustoffe – Beitrag von Baustoffen zur Nachhaltigkeit
Dr. Joachim Nitsch, Energiesystemanalyse und Technikbewertung / Dr. Benjamin Pfluger, Competence Center Energiepolitik und Energiesysteme am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI: Klimaschutz nach Paris – Stand und Aussichten der Energiewende in Deutschland
Zu den Autoren:
Bei der Beobachtung und Bewertung der weiteren Entwicklung im Wasser- bzw. Klimasektor und bei der Einschätzung von Produkten und Technologien wird ÖKOWORLD für die Fonds ÖKOWORLD WATER FOR LIFE und ÖKOWORLD KLIMA durch einen dreiköpfigen wissenschaftlichen Fachbeirat unterstützt.
Die Mitglieder des Fachbeirats:
Prof. Dr. Gerald Haug
Im Jahr 2003 übernahm Gerald Haug die Stelle eines Sektionsleiters am Geoforschungszentrum in Potsdam und wurde zum Professor an die Universität Potsdam gewählt. Mitte 2007 kam er als ordentlicher Professor zurück an die ETH Zürich, wo er zuvor bereits von 2000 bis 2003 tätig war und 2002 habilitierte.
Seit August 2015 ist er Direktor der Abteilung Klimageochemie im Max-Planck-Institut für Chemie. Gerald Haug befasst sich in seiner Forschung mit dem Klima und der Ozeanographie des Känozoikums, mit einem besonderen Schwerpunkt der Klimaentwicklung der letzten Jahrtausende bis Jahrmillionen. Anhand von geologischen Klimaarchiven untersucht er die Wechselwirkungen zwischen Klima und mariner und terrestrischer Biosphäre mit einem Blick auf den Einfluss des Klimas auf den Lebensraum des Menschen. Gerald Haug wurde im Jahr 2007 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgezeichnet.
Dr.-Ing. David Montag
David Montag ist Oberingenieuer am Institut für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen, wo er zuvor von 2008 bis 2011 den Forschungsbereich Abwasser- und Klärschlammbehandlung leitete. Im Jahr 2008 promovierte er zum Thema „Phosphorrückgewinnung bei der Abwasserreinigung – Entwicklung eines Verfahrens zur Integration in kommunale Kläranlagen“. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Förderpreis des Instituts zur Förderung der Wassergüte- und Wassermengenwirtschaft (IFWW) ausgezeichnet. Neben dem weiterhin im Fokus stehenden Thema der Phosphorrückgewinnung aus Abwasser, Klärschlamm und Klärschlammasche befasst sich David Montag in seinen Forschungsaktivitäten schwerpunktmäßig mit der Elimination von Spurenstoffen wie organischen Industriechemikalien und Arzneimittelrückständen aus Abwasser. Ein weiteres Beschäftigungsfeld ist die energetische Optimierung von Prozessen der Abwasserreinigung und Klärschlammbehandlung. David Montag hat an der RWTH Aachen einen Lehrauftrag für das Fach "Weitergehende Abwasserreinigung".
David Montag ist aktives Mitglied in verschiedenen Ausschüssen und Arbeitsgruppen der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA).
Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke
Harald Bradke leitet seit 1996 das Competence Center Energiepolitik und Energiesysteme des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe, hat seit 1999 einen Lehrauftrag für Energiewirtschaft an der Universität Kassel, seit 2010 Honorarprofessur und ist seit 2001 Beirat der VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt. Sein Arbeitsbereich sind Untersuchungen zur technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung von Energietechnologien mit einem Schwerpunkt bei Analysen von Hemmnissen und Potenzialen der rationellen Energienutzung in Industrie und Gewerbe. Aktuell leitet er ein Pilotprojekt mit 30 Unternehmens-Netzwerken zum Thema Energieeffizienz.