Warum ist Öl ein flüchtiges Wirtschaftsgut mit Verfallsdatum?
Ein Beitrag von Geschäftsführer Ralph Prudent
Man trifft deutsche Autofahrer wieder lächelnd an Tankstellen an. Seit Wochen kennt der Ölpreis nur noch eine Richtung: nach unten. Und er zieht die Spritpreise mit sich. Öl und Benzin sind so billig zu haben wie seit Jahren nicht mehr. Die alten Gesetzmäßigkeiten der Ölmärkte scheinen außer Kraft gesetzt zu sein. Bisher funktionierten sie nach einer simplen Regel: Fällt der Ölpreis, wird die Ölförderung vorübergehend gedrosselt, bis sich der Ölpreis und mit ihm die Einnahmen wieder stabilisieren. Allen voran die OPEC unter der Führung Saudi Arabiens bremste die Freude der Autofahrer an den Tankstellen schnell aus. Diesmal bleibt die Drosselung der Ölproduktion zur Verwunderung der Experten und zur Freude der Verbraucher jedoch aus. Seit letztem Sommer hat sich der Ölpreis halbiert und trotzdem pumpen die Scheichs was das Zeug hält. Rund um den Globus revidieren die Analysten ihre Ölpreisprognosen weiter nach unten. Mit dramatischen Folgen. Russlands Staatshaushalt droht zu kippen, der norwegische Ölkonzern Statoil meldet erstmals in seiner Geschichte Verluste und das von der Staatspleite bedrohte Venezuela sucht nach Verbündeten im Ölkrieg, wie Staatschef Maduro die Lage nennt.
Das wirft die Frage auf, was diesmal anders ist als sonst. Es kann nicht im Interesse der Ölförderer sein, ihr schwarzes Gold dauerhaft zu verschleudern. Offiziell hört man von der arabischen Halbinsel, man sei nicht bereit, Marktanteile durch eine Absenkung der Produktion zu verlieren. Experten glauben daher, das saudische Dumping-Öl ziele darauf ab, die amerikanische Fracking-Industrie ausbluten zu lassen. Schließlich drohe mit dem Fracking der Aufstieg der USA zum größten globalen Ölproduzenten. Möglich wäre das, denn das saudische Öl ist mit maximal 25 US$ Förderkosten gegenüber der amerikanischen Schieferölgewinnung mit Produktionskosten zwischen 50 US$ und 100 US$ geradezu billig. Fracking-Unternehmen sind auf konstant hohe Kapitalrückflüsse angewiesen, um ihre Gläubiger zu befriedigen. Haben sie kein Geld mehr zum Bohren, geht bei Ihnen das Licht aus, wie kürzlich bereits bei der WBH Energy.
So plausibel das klingen mag, wirtschaftlich halte ich das für unsinnig. Erstens würden die amerikanischen Schieferölreserven nur vorübergehend vom Markt verdrängt und früher oder später in den Markt zurückkehren. Und zweitens stehen inzwischen gewaltige Einnahmeausfälle bei den Saudis, die auf die Dollars aus dem Ölgeschäft angewiesen sind, zu Buche. Das bedeutet: Auch wenn das Öl selbst noch mit Gewinn verkauft wird, reißt der niedrige Preis dennoch ein Loch in das saudische Budget, da das Land selber einen Ölpreis von ca. 94 US$ für einen ausgeglichenen Staatshaushalt benötigt. Das werden die Saudis auf Dauer auch nicht mit ihren immensen Währungsreserven auffangen können. Am Ende schaden sie sich also selber mit der Ölschwemme.
Sinnvoll erscheint das scheinbar irrationale Verhalten der Scheichs vor einem ganz anderen Hintergrund. Den habe Rineesh Bansal und Stuart Kirk von der DB-Research ins Spiel gebracht: Die Saudis verramschen ihr Öl, weil sie befürchten müssen, dass ihre gewaltigen Ölreserven durch den Klimawandel dramatisch entwertet bzw. nicht mehr verkauft werden können. Bereits 2013 haben Analysten von HSBC in ihrer Studie „Oil & Carbon revisited – Value at risk from ,unburnable‘ reserves“ (siehe Newsletter ÖKOVISIONEN & REALITÄTEN April 2013) belegt, dass nur noch ein Bruchteil der heute bekannten Reserven an fossilen Brennstoffen gefördert und verbrannt werden dürfen, wollte man den Klimagau verhindern. Besonders betroffen davon wäre, so die Wissenschaftler McGlade und Ekins vom University College London in der Zeitschrift „Nature“, der mittlere Osten. Die Ölscheichs laufen Gefahr, im wahrsten Sinne des Wortes auf einem großen Teil ihrer Reserven sitzen zu bleiben. Ein großer Verlust insbesondere für diejenigen, die in ihren Staatsfinanzen auf die Öleinnahmen angewiesen sind.
So gesehen verhalten sich die Saudis ökonomisch betrachtet geradezu vernünftig, wenn sie die Zeit nutzen und soviel Öl wie möglich in Petrodollars konvertieren. Denn ob sie ihre auf 100 Jahre geschätzten Reserven später noch komplett an den Mann bzw. in den Tank bringen können, ist ungewiss. Zwei Drittel aller fossilen Energieträger müssen künftig im Boden verbleiben, um den Klimawandel einzudämmen und werden damit wertlos. Nicht plötzlich aber irgendwann in naher Zukunft schon. Mit der Konsequenz, dass auf dem Weg dorthin der Ölpreis vor dem Hintergrund ver-brauchsbeschränkender Klimaschutzgesetze noch weiter fallen könnte.
Was manche für ein düsteres Greenpeace-Szenario halten, beschäftigt nicht nur Ölscheichs. Der britische Notenbankchef Mark Carney spricht öffentlich von einer Klimablase an den Finanzmärkten. Die führenden Ölkonzerne gehören heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Eine Entwertung ihrer Reserven könnte Kursverluste von bis zu 60 Prozent nach sich ziehen. Panikverkäufe von Ölaktien könnten seiner Ansicht nach dramatische Auswirkungen auf das Finanzsystem haben. Die Ölindustrie sieht sich existenziell bedroht und der britische Energieminister vergleicht Investments in Öl- und Kohleunternehmen bereits mit Investments in US-Ramsch-Anleihen, deren Platzen in die Finanzkrise geführt haben. Vor diesem Hintergrund weiterhin milliardenschwere Explorationen zu finanzieren, betrachten führende Energie-Ökonomen als unsinnig und auch die Ölkonzerne revidieren bereits ihre Explorations-Strategien. Kürzlich meldete Shell, wegen des Ölpreisverfalls auf Investitionen in Höhe von 15 Milliarden US$ verzichten zu wollen. Vielleicht sind es auch solche Gedanken, die VW-Chef Martin Winterkorn – wie ich kürzlich in einer Randnotiz einer Zeitung lesen konnte – dazu bringen, seine Kollegen und Mitbewerber einer mit ihren Verbrennungsmotoren ebenfalls ölabhängigen Branche zu ermuntern, ihr Geschäftsmodell frühzeitig zu überdenken. Andernfalls könne es, so Winterkorn, der Automobileindustrie ergehen, wie den deutschen Stromversorgern ...
Ein Paradigmenwechsel bahnt sich an. Jahrzehntelang hatte unsere verbrauchsorientierte Gesellschaft geradezu panische Angst davor, dass ihr das Öl, der Schmierstoff der Wirtschaft, ausgehen könnte. Heute mehren sich die Stimmen, dass es in Zukunft zu viel Öl geben wird. Die alte Annahme, dass der Ölpreis auf lange Sicht stetig steigen wird, gerät dadurch ins Wanken und das Gegenteil ist nicht mehr auszuschließen. Öl könnte, wie Marcus Theurer es in der FAZ formuliert hat, zu einem flüchtigen Wirtschaftsgut mit Verfallsdatum werden – ähnlich wie eine Packung Milch.
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