Lehren aus Tschernobyl und Fukushima?
Die Katastrophen jähren sich
Der bisher schwerste Atomunfall in Tschernobyl (aufgrund von Konstruktionsmängeln, menschlichem und technischem Versagen) liegt 30 Jahre zurück, der bisher zweitschwerste in Fukushima (aufgrund eines schweren Erdbebens mit anschließendem Tsunami) 5 Jahre. In beiden Fällen erfolgten Kraftwerksexplosionen mit Freisetzung großer Mengen an radioaktivem Material.
Die Katastrophe in Fukushima hätte, wie wir heute wissen, noch wesentlich größere Ausmaße annehmen können. Der Betreiber Tepco wollte vier Tage nach dem Tsunami die havarierten Reaktoren aufgeben und den gesamten Kraftwerkstandort evakuieren. Gegen diesen Plan konnte der damalige Premierminister Naoto Kan, der seit der Katastrophe vehementer Gegner der Atomkraft ist, erfolgreich intervenieren. Die Aufgabe der Anlage hätte zu einem Super-GAU führen können, mit der Unbewohnbarkeit weiter Teile Ostjapans einschließlich Tokios als Folge.
2011 mussten im Umkreis von Fukushima 160.000 Menschen umgesiedelt werden, die meisten aus der 20-km-Zone direkt rund um das Kraftwerk. Bis heute konnten 100.000 Menschen nicht in ihre Heimat zurückkehren. Viele wollen dies auch nicht, da die Rückkehr hohe Risiken birgt. Im Umkreis von Tschernobyl wurden 1986 350.000 Menschen umgesiedelt, hiervon 130.000 aus der 30-km-Zone um das Kraftwerk herum, darunter alle Bewohner der Stadt Pripjat in der Nähe des Kraftwerks, die heute nach wie vor eine Geisterstadt ist.
Die langfristigen Folgen
Aufgrund der freigesetzten Strahlung, vor allem in Form von radioaktivem Jod und Cäsium, hat sich in den ersten 25 Jahren seit dem Unfall in Tschernobyl in den betroffenen Regionen die Zahl der Krebserkrankungen deutlich erhöht. Für ganz Europa gehen offizielle Schätzungen von mind. 20.000 zusätzlichen Krebstoten aus. Die meisten Krebserkrankungen werden erst noch in der Zukunft auftreten. Umweltorganisationen befürchten, dass die Zahl der Opfer um den Faktor 10 höher liegen kann. Für Fukushima deutet sich schon jetzt eine Zunahme der Schilddrüsenkrebserkrankungen bei Kindern an. Allerdings sind die Daten noch nicht eindeutig.
Für den Abriss der Kraftwerkruinen und die Beseitigung bzw. genauer die Endlagerung der radioaktiven Abfälle (wo und wie, ist unklar), einschließlich radioaktiv belasteten Erdreichs, veranschlagen Experten für beide Standorte viele (weitere) Jahrzehnte. Die Kosten sind nicht abschätzbar. Allein die zweite Schutzhülle in Tschernobyl, die 2017 fertiggestellt werden soll, kostet rd. 1 Mrd. Euro.
Und die Lehren?
In Japan zeigen Umfragen, dass eine breite Mehrheit der Bevölkerung den Ausstieg aus der Atomkraft befürwortet. Die amtierende Regierung unter dem Ministerpräsidenten Shinzo Abe hat jedoch einen schrittweisen Wiedereinstieg beschlossen. Von 43 vorübergehend abgeschalteten Reaktoren sind zwei wieder in Betrieb. Auch die Ukraine setzt weiterhin auf Atomkraft. Noch heute werden 15 Reaktoren an vier Standorten betrieben.
Weltweit hat sich an der Situation leider nur wenig geändert. Der vollständige Ausstieg aus der Atomkraft nach dem Unfall in Fukushima wurde nur in Deutschland beschlossen.
Zwar macht der Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien sehr große Fortschritte. Allerdings deckt dieser Ausbau nur einen Teil des zusätzlichen Bedarfs, z. B. in China mit dem zuletzt weltweit größten Zubau bei Windkraft und Photovoltaik. Z. T. werden Kohlekraftwerke ersetzt. In einigen Ländern wie Deutschland wird sich der Prozess des „Kohleausstiegs“ fortsetzen.
Zugleich werden jedoch in insgesamt 14 Ländern Atomkraftwerke neu geplant und gebaut, die meisten in China. Und einige Länder wie Argentinien, Polen, Saudi-Arabien und die Türkei sind erst kürzlich eingestiegen. In Großbritannien wurde der Neubau-Wiedereinstieg beschlossen, mit dem ersten Bau wurde bereits begonnen. Dies alles trotz der negativen Erfahrungen, die in den letzten Jahren in Finnland und Frankreich mit Neubauten der jüngsten, angeblich sichereren Reaktortypen gemacht wurden (Bauzeitverzögerung, Kostenüberschreitung).
Wie geht es weiter?
Nach dem Unfall in Fukushima 2011, wie auch schon nach dem Unfall in Tschernobyl 1986, wurde in der Öffentlichkeit und in der Politik viel darüber diskutiert, ob eine Technologie wie die Atomkraft angesichts der großen Schäden, die sie verursachen kann, ethisch und politisch überhaupt vertretbar ist. Abgesehen davon, dass die „Ewigkeitslasten“ durch den radioaktiven Müll, der erst zwischen- und dann irgendwann endgelagert werden muss, die Menschheit, solange es sie gibt, beschäftigen werden.
Leider haben die Grundsatzdiskussionen nach Fukushima nur wenig verändert. Zwar wird der Atomkraftanteil an der weltweiten Stromerzeugung, der 2014 bei 10,8 % lag, bis auf weiteres weiter sinken, weil in den nächsten Jahrzehnten allein aus Kostengründen weit weniger Kraftwerke neugebaut als altersbedingt stillgelegt werden. Und der Anteil Erneuerbarer Energien wird weiter deutlich steigen.
Es ist jedoch völlig offen, ob dies alles zu einem Auslaufen der Atomkraft quasi von selbst führt oder ob nicht doch irgendwann eine „Renaissance“ zu befürchten ist, sollte es gelingen, eine neue Generation von Atomkraftwerken kostengünstiger zu bauen. Daran wird jedenfalls weiter gearbeitet und geforscht, nicht zuletzt auch mit Fördermitteln der EU.
ÖKOWORLD-Position
ÖKOWORLD ist zu keinem Zeitpunkt der Verführung erlegen, etwa unter dem Mantel des Klimaschutzes die ablehnende Haltung zur Atomkraft zu ändern. Was weniger bekannt ist: Ausgeschlossen sind nicht nur Atomkraftbetreiber und Reaktorsystemanbieter, sondern auch alle Hersteller von Schlüsselkomponenten, Dienstleister z. B. für Konzeption und Planung, sowie Hoch- und Tiefbaugesellschaften, die mit dem Bau von Atomkraftwerken zu tun haben.