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Weltnaturkonferenz in Montréal: Aufbruch in eine neue Zeitrechnung des Naturschutzes?

Manuel Vosswinkel

Zweifel sind angebracht, Hoffnung erlaubt.

Lesen Sie hier den Kommentar von Manuel Voßwinkel, Senior Sustainability Analyst bei ÖKOWORLD:

Es ist eine schlichte Zahl, die verdeutlicht, dass es die Menschheit in der Erdgeschichte zu trauriger Berühmtheit gebracht hat. Auf die Masse bezogen sind inzwischen 96 % aller Säugetiere auf der Erde entweder Menschen (36 %) oder dessen Nutztiere wie Rinder und Schweine (60 %). Die Zahl ist eine von vielen, die uns das Dilemma vor Augen führt. Sie ist das Ergebnis der Expansion des Menschen und seiner gewachsenen Konsumgewohnheiten, mit den seit langen bekannten Konsequenzen für die Natur – das dramatische Absinken der biologischen Vielfalt auf unserem Planeten.

Abkommen über den Schutz der biologischen Vielfalt

Vor zwölf Jahren, im Jahr 2010, hatte sich die Weltgemeinschaft schon einmal mit den Aichi-Zielen darauf verständigt, das Ruder herumzureißen und dem Verlust der biologischen Vielfalt entgegenzuwirken. Ein vom UN-Umweltprogramm veröffentlichter Bericht zeigte 2020 jedoch, dass keines der 20 verabschiedeten Kernziele vollständig erreicht wurde. Auch wenn es in einigen Bereichen auf nationaler Ebene Fortschritte gab.

Vom 7. - 19. Dezember fand nun dieses Jahr in Montreal (Kanada) die 15. Weltnaturkonferenz, die Convention on Biological Diversity (CBD), statt. Hier sollte in Ergänzung zu den in 2010 verabschiedeten Aichi-Zielen ein neues und verbindliches Abkommen über den Schutz der Natur erarbeitet werden. Im Vorfeld wurden Erwartungen an einen „Paris-Moment“ geweckt, wo sich die Weltgemeinschaft 2015 auf die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 °C des vorindustriellen Niveaus einigen konnte.

Bis zur letzten Sekunde war der Ausgang in Montreal völlig offen, die Verhandlungen zäh. Der Kompromissvorschlag wurde erst am letzten Tag von der chinesischen Gipfelpräsidentschaft vorgelegt. Am Ende war die Erleichterung groß, die Abschlusserklärung wird von 196 Ländern getragen.

Effektiver Naturschutz – wer macht mit?

Das auf der CBD in Montreal verabschiedete Global Biodiversity Framework (GBF) enthält wesentliche Punkte für einen effektiven Naturschutz. So sollen bis 2030 mindestens 30 % der weltweiten Land-, Küsten- und Meeresflächen sowie der Binnengewässer unter Schutz gestellt - und damit wirkungsvoll konserviert - werden. Hier bleibt abzuwarten, auf welche Details man sich bei dem Begriff „wirkungsvoll“ einigt. Eine Verwässerung ist nicht auszuschließen. Auch verständigten sich die Vertragspartner auf ein Phase Out hochgiftiger Pestizide, die in Europa längst verboten sind, in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern aber noch immer zum Einsatz kommen. Zudem sollen für die biologische Vielfalt schädliche Subventionen schrittweise abgebaut werden.

Interessant wird es bei der Finanzierung der notwendigen Maßnahmen. Klar, hier sind die wirtschaftlich am stärksten entwickelten Länder, die so genannten Industriestaaten, als erstes an der Reihe, Zusagen wurden gemacht. Doch auch Unternehmen und der Finanzsektor, als wesentliche Treiber für den Verlust der biologischen Vielfalt, rücken in den Vordergrund. Hier wird in den nächsten Jahren damit gerechnet, dass sich diese - im Rahmen von Naturschutzzertifikaten - verstärkt an der Finanzierung beteiligen. 

Die Natur würde damit endgültig zu einem wirtschaftlich handelbaren Gut. Nicht alle sind glücklich darüber, insbesondere aus Reihen der Schwellen- und Entwicklungsländer. Ein Rückblick zeigt zudem, dass uns der Handel mit Zertifikaten, wie etwa für CO2, (noch) nicht nennenswert weitergebracht hat. 

Was bleibt nach der CBD in Montreal?

Nach der Verabschiedung des letzten historischen Abkommens zum Klima- und Naturschutz vor sieben Jahren in Paris war die anfängliche Euphorie groß. Sieben Jahre später hat sich Ernüchterung breit gemacht. Derzeit steuern wir auf eine im Durchschnitt um 3 °C wärmere Welt mit zum Teil unbekannten Auswirkungen auf Menschen und insbesondere auf die biologische Vielfalt zu. 
Es bleibt also abzuwarten, ob diesmal alles anders kommt und wir im Jahr 2030 von erheblichen Fortschritten beim Schutz der biologischen Vielfalt sprechen können. Zweifel sind angebracht, Hoffnung erlaubt. Die eigentliche Arbeit jedenfalls fängt jetzt erst an.