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Immer aktuell: 25 Jahre Arbeit für ÖKOWORLD ÖKOVISION CLASSIC

R. Andreas Kraemer gehört zu den 11 klugen Köpfen, die den unabhängigen Anlageausschuss von Ökovision bilden. Ökoworld selbst hat in diesem Gremium weder Sitz noch Stimme. Im Interview blickt Kraemer zurück auf ein Vierteljahrhundert „Ökologisierung der Wirtschaft an der Börse“.

Sie sind Co-Vorsitzender des Anlageausschusses des Ökovision. Wie kam es dazu?

R. Andreas Kraemer: Für mich ging es vor etwas über 25 Jahren los, und zwar mit der ersten Sitzung einer Gruppe, aus der dann später der Anlageausschuss wurde. Das war am Rande einer Veranstaltung der Ökobank, die es damals noch gab, und es ging um die Frage, ob man überhaupt in Aktien investieren dürfe, denn damit begebe man sich doch auf die Ebene der Kapitalisten, und da könne nichts Gutes herauskommen.

Wenn, dann müsse das Geld „frisch“ in die Unternehmen und nicht an die Vorbesitzer der Aktien gehen. Genossenschaftliche Bioläden, alternative Schreinereibetriebe und Fahrradwerkstätten waren das Maß der Dinge. Heute würde dies auch Crowdsourcing genannt. Zugleich stand schon damals aber auch die Vision im Raum – und hing als Poster an der Wand –, dass beispielsweise für die Energiewende recht große Kapitalsummen umgelenkt werden müssten. Die Ökobank warb mit ihrem Engagement für den Umbau der Industriegesellschaft ja auch mithilfe eines anderen Umgangs mit Geld und Kapital.

Und warum haben Sie da mitgemacht?

Kraemer: Einladungen von der Ökobank wurden damals schon aus Prinzip angenommen. Sie hatten einberufen, um mit den Genossen und anderen Experten zu diskutieren. Sebastian Büttner (Anmerkung der Redaktion: ehemaliges Mitglied im Ökovision-Anlageausschuss) und ich hatten kurz zuvor am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin eine der ersten Studien in Deutschland zum „Grünen Geld“ geschrieben.

Die Fragen, gestellt von einem dänischen Pensionsfonds, waren damals: „Wie müssen wir Gelder anlegen, aus denen wir unseren Mitgliedern in 40 bis 60 Jahren ihre Rente auszahlen? Wie erkennen wir Chancen und Risiken auf so lange Sicht?“ Die Beiträge von 20-jährigen Berufsanfängern mussten ja so werthaltig und mit Ertrag angelegt werden, dass die Rente mit 65 bis 90 oder länger finanziert werden konnte.

Und was kam bei der Studie heraus?

Kraemer: Wir sahen, wie schwierig es ist, die „Gewinner der Zukunft“ zu finden, vor allem auf so lange Sicht. Rein finanztechnische Analysen oder der Blick auf den historischen Verlauf von Kursen helfen dabei nicht. Es brauchte tiefer gehende Vorstellungen über mögliche künftige Entwicklungen und die Rolle von Unternehmen darin. Wir haben dann schnell gesehen, dass vor allem soziale Gleichgewichte, die über Frieden in Gesellschaften entscheiden, und der Umgang mit der Umweltkrise für den langfristigen Erfolg oder das Scheitern von Unternehmen verantwortlich sein werden.

Das traf auf einen guten Nerv bei den Machern in der Ökobank wie auch bei versiko, wie Ökoworld damals hieß. Und so kam es dann zur Zusammenarbeit.

„Gewinner der Zukunft“ klingt einfach und kompliziert zugleich. Was bedeutet das praktisch?

Kraemer: Im Anlageausschuss haben wir positive und negative Kriterien, die wir abwägen, bevor wir gemeinsam eine Entscheidung treffen. Negativ, das sind die Dinge, die wir nicht oder ganz und gar nicht wollen: Atomenergie, Kinderarbeit, Raubbau und fossile Energien, „grüne“ Gentechnik und Chlorchemie sind Ausschlussgründe. Damit schließen wir die „Verlierer der Zukunft“ aus, denn solche Produkte, Technologien und Geschäftsmodelle haben in einer freien, friedlichen, gerechten, stabilen und nachhaltigen Gesellschaft keinen Platz.

Die Vision aber steckt in den positiven Kriterien, den Eigenschaften von Unternehmen, die wahrscheinlich als Gewinner dastehen werden, in die Ökovision investieren darf und soll.

Was sind das für Wunschkriterien?

Kraemer: Wir haben 15 Kategorien von Kriterien, die ich so zusammenfasse: Wir suchen Unternehmen mit umwelt- und sozialverträglichen Produkten, Verfahren, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen, die sich durch ihre Tätigkeit und in der Öffentlichkeit und durch ihr Lobbying aktiv für einen Umbau zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft engagieren.

Dabei müssen die Unternehmen nicht perfekt sein, aber unterm Strich muss es stimmen, und sie müssen auf dem richtigen Weg sein.

Haben Sie Lieblingsunternehmen in Ökovision?

Kraemer: Wir gehen an die Unternehmen eher nüchtern heran und arbeiten mit Kriterien. Gefühle sind da weniger im Spiel. Aber es gibt Unternehmen, die schon lange im Fonds sind und alle drei Jahre wieder Freude bereiten.

Im September 2017 haben wir 9 Unternehmen mit dem Ökovision Sustainability Leadership Award ausgezeichnet. Die kamen aus recht unterschiedlichen Branchen und aus aller Welt:

Nochmal gefragt: Welche gefallen Ihnen besonders gut?

Wenn Sie mich so fragen: Emmi und Kone.

Emmi ist zwar börsennotiert, zugleich aber tief in den genossenschaftlichen Strukturen schweizer Milchbauern verankert. Emmi ist der größte Erzeuger von Biomilch und Produkten daraus in der Schweiz. Emmi arbeitet mit hohen Tierschutzstandards eng mit kleinen Höfen zusammen. Das ist ein Beispiel für verantwortungsvolle Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion.

Kone baut die besten Aufzüge und Rolltreppen für Komfort und Barrierefreiheit in Gebäuden, auf Bahnhöfen und so weiter. Bei Design und Bau dieser langlebigen Industriegüter stehen Energieeffizienz und zur Ressourcenschonung auch die Wiederverwendung von Materialien im Vordergrund. Kone ist ein Beispiel dafür, was in Industrieunternehmen heute möglich ist.  

Die beiden Beispiele zeigen, dass Ökovision nicht einfach nur in Dienstleistungsunternehmen investiert, bei denen geringe Umweltauswirkungen vermutet werden, sondern dass wir auch in problematischen Branchen die Besten suchen und finden. Für uns geht es um den Umbau des Ganzen, und nicht nur um Nischenlösungen.

Gibt es auch aktuelle Beispiele?

Kraemer: Da denke ich an die „Gewinner der Energiewende“, zum Beispiel der Windturbinenhersteller Vestas, NKT als sehr guter Kabelhersteller oder SMA mit seinen Wechselrichtern.

Aber wachsen Entwicklungs- und Schwellenländer nicht schneller, ohne dass dort viel auf Umwelt- und Sozialaspekte geachtet wird?

Kraemer: Jein. Sie wachsen schneller, sind im Vergleich aber zu Deutschland und anderen Industriestaaten noch arm. Beim Umweltschutz machen sie allesamt Fortschritte, und der Wille ist erkennbar, unsere Fehler der Vergangenheit und der Gegenwart nicht zu wiederholen.

Die positive Entwicklung der „wachsenden Märkte“ geht mit einer gesellschaftlichen und sozialen Öffnung einher. Auch wenn da noch viel zu tun ist und es gelegentlich, wie derzeit in China oder der Türkei, Rückschritte gibt - die Schwellenländer werden tendenziell stabiler und für Investoren interessanter.

Manche Unternehmen sind gut, aber zu intransparent, und ihre Managementsysteme sind nicht gut genug entwickelt. Mit unseren Ökovision-Kriterien stoßen wir da an Grenzen. Ökoworld hat deswegen einen Schwellenländerfonds namens „Ökoworld Growing Markets 2.0“ aufgelegt, der dieselbe Philosophie verfolgt wie Ökovision, aber an manchen Punkten etwas nachsichtiger ist bzw. sein muss.* Die harten Ausschlusskriterien werden davon aber nicht berührt.

*Anmerkung der Redaktion:

Als roter Faden kann man sagen, dass Ökoworld in den wachsenden Ländern der Emerging Markets auf die Entwicklung 2.0 setzt, d. h. weg vom Rohstoffexport und der verlängerten Werkbank – hin zu technologischer Entwicklung und einer aufstrebenden Mittelschicht mit der Entwicklung spezifischer Bedürfnisse. Es geht teils um die Befriedigung von Grundbedürfnissen, die nach unserem europäischen Standard selbstverständlich sind. Denken wir z. B. an Frauenrechte, faire Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, Wasserversorgung und Toilettenspülung rund um die Uhr, ein Internetzugang, eine Schule, ein erreichbarer Zahnarzt, ein neues Hüftgelenk, eine asphaltierte Straße – eine vorhandene Infrastruktur. Diese Entwicklung mitzugehen ist eine besondere Herausforderung und ein spannender Weg. Es geht in den Schwellenländern, die sich, verglichen mit unserem Lebensstandard in den Industrienationen, teilweise und insbesondere in ländlichen Gebieten noch auf dem Status eines Entwicklungslandes befinden, insbesondere darum, Unternehmen, die sich ernsthaft auf den Weg gemacht haben, Teil der Lösung und nicht Teil des Problems zu sein, für diese Entwicklung zu würdigen und Ansporn zu geben, diesen Prozess weiterzugehen.

Der Druck vieler Unternehmen der Industriestaaten hinsichtlich ökologischer Aspekte, führt zunehmend zu einem Umdenken der Zulieferer. Wer sich beispielsweise als produzierendes Unternehmen in den Schwellenländern mit dem Thema Umweltmanagement grüner aufstellt, der hat im Wettbewerb Vorteile bei der Auftragsvergabe und den erzielbaren Margen. Ein Beispiel hierfür ist das thailändische Unternehmen KCE Electronics. Seitdem geschlossene Wasserkreisläufe in der Leiterplattenproduktion installiert wurden und das verunreinigte Brauchwasser nicht mehr in die Flüsse fließt, wurden sowohl neue Auftraggeber gewonnen als auch Verträge zu besseren Konditionen abgeschlossen. Viele, vor allem chinesische Produzenten, die solche notwendigen Umweltanforderungen nicht berücksichtigt hatten, mussten hingegen Insolvenz anmelden. Dennoch liegt auf der Hand, dass wir das Umweltmanagement von KCE Electronics nicht mit dem von Henkel vergleichen können. Die Messlatte liegt aus nachvollziehbaren Gründen daher auf anderer Höhe.

Ein anderes Beispiel: Ein Leben ohne Toilette ist für Mitteleuropäer undenkbar, für viele Inder dagegen alltägliche Realität. Fast die Hälfte der Bevölkerung erleichtert sich im Freien. Mit der „Swachh Bharat Mission“ (Mission Sauberes Indien) soll damit Schluss sein. Die Kampagne wurde 2014 von Premierminister Narendra Modi ins Leben gerufen. Bis zum 2. Oktober 2019, dem 150. Geburtstag Ghandis, sollen 120 Millionen Toiletten im Land installiert werden.

Es ist sicher nachvollziehbar, dass ein solches Vorhaben flankiert mit in Stein gemeißelten und zu strengen Vorgaben nach mitteleuropäischen Vorstellungen überhaupt nicht zu realisieren wäre. Daher müssen hier selbstverständlich in maßvollem Rahmen Abstriche gemacht werden, wenn es um die Bewertung von Unternehmen geht. Ökoworld Growing Markets 2.0 verfolgt dieselbe Philosophie wie Ökovision, muss aber an manchen Punkten etwas nachsichtiger sein. Die harten Ausschlusskriterien werden davon nicht berührt.